Die neue Lust auf wilde Kost
Für Gartenbesitzer ist der Wildwuchs häufig ein Ärgernis. Noch sollte man sagen. Denn die meisten von ihnen haben noch gar nicht das Potential erkannt, das in dem Grünzeug steckt, das die Natur ihnen direkt vor ihrer Haustür serviert. Der Hype um die Wildkräuter steht erst am Anfang. Seit einigen Jahren schon erproben Spitzenköche die daraus erwachsenen völlig neuen Geschmacksnuancen – sei es in Form kleiner Salatkreationen oder ausgetüftelter Menüfolgen wie die des Altmeister der Wildpflanzenküche Jean-Marie Dumaine.
Firmen wie die Essbaren Landschaften haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Sie verarbeiten Grünzeug, das man ebenso am Wegrand finden kann und verschicken es bundesweit – an alle die Ahnungslosen, die dieses schmucklose Kraut bislang links liegen lassen. Das scheint sich nunmehr zu ändern.
Das stark gestiegene Interesse an naturbelassener Nahrung macht den Wildwuchs neben ökologisch angebauten Produkten für die tägliche Ernährung wieder interessant. Bis in die 1950er Jahre bildete er schon eine wichtige Grundlage für die tägliche Nahrung. In Kochbüchern aus dieser Zeit werden noch ganz selbstverständlich Holunderbeeren und Hagebutten zu Suppen und Soßen sowie Brennnesseln, Löwenzahn, Melde und Sauerampfer zu spinatartigem Gemüse verarbeitet. Jahrhundertelang galt Scharbockskraut als sicheres Mittel gegen die Mangelkrankheit Scharbock, besser bekannt unter dem Namen Skorbut. Schon als Kind lernte man früher häufig die hilfreichen Pflanzen kennen – als Erwachsener griff man dann ganz selbstverständlich zum Wermut, wenn beispielsweise der Magen kniff. Man wusste schon aus Erfahrung, dass diese »bittere Medizin« guttat.
Anders als das mit Geschmacksverstärkern und künstlichen Aromen versetzte industriell hergestellte Convenience-Food besitzt das Wildgemüse noch den unverfälschten Geschmack. Es ist oft sogar reicher an Mineralstoffen, Vitaminen und Proteinen als Obst und Gemüse aus dem Handel. Hagebutten und Sanddorn enthalten zum Beispiel etwas dreißig Mal mehr Vitamin C als Zitronen.
Zum Sammeln in der näheren Umgebung bieten sich Brachflächen an, zum Beispiel Grünstreifen abseits von Straßen, Uferböschungen sowie Wiesen- und Waldränder, sofern diese ökologisch bewirtschaftet werden. Auch in Landschaftsschutzgebieten dürfen Pflanzen zum privaten Gebrauch gesammelt werden. Gartenbesitzer haben die kulinarischen Schätze direkt vor der Nase – vorausgesetzt, sie betrachten diese nicht länger als Unkraut. Probieren Sie einfach einmal das junge Kraut der Vogelmiere, das jetzt im Frühjahr auf Beeten und in Töpfen sprießt. Es wird einfach mit der Schere über dem Boden abgeschnitten und in grüne Salate gemischt. Auf das Geschmackserlebnis möchten Sie dann nicht mehr verzichten.
Zum Weiterlesen empfohlen: »Essen aus der Natur. Kräuter, Beeren, Pilze sammeln und verwerten«. Stiftung Warentest, Berlin. »Wildes Grün – verführerische Wildpflanzenrezepte durch das ganze Jahr«. AT Verlag.
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MB September 2022